erzählte Natur

Die „erzählte Natur“ von Thomas Henninger findet in Bildern statt, deren Charakter keineswegs erzählerisch ist. Im Gegenteil, Narratives widerstrebt diesem Künstler, der mit seiner fotografisch-präzisen und kühltonigen Landschaftsmalerei ambivalente Natureindrücke festhält. Auf den ersten Blick glaubt man sich mit einer höchst realistischen, mimetischen Sicht auf Naturlandschaften konfrontiert. Mit ihren anorganischen Aspekten, insbesondere den eisigen Seen, den glatten und starren Felsformationen und den vereinzelten, statisch anmutenden Baumstrukturen lenkt Thomas Henninger den Blick auf eine Landschaft, die auf merkwürdige Weise beunruhigt. Sie verstört gerade deshalb, weil sie eigentlich so vertraut erscheint. Erst die detaillierte und distanzierte Betrachtung dieser Bilder macht begreiflich, dass der Maler vornehmlich die Unterwanderung sämtlicher Erwartungen bezüglich eines festen und eindeutigen Natur- und Landschaftsbegriffs im Sinn hat. Ästhetisch spielt er so lange mit den Vorstellungen und Ingredienzien eines Landschaftsideals, etwa eines idealen romantischen Landschaftsbildes, oder eines fotografierten Raumausschnitts, bis er durch einen Widerspruch den Bruch einer eindimensionalen Sicht herbeiführt. Der kann in Form eines provozierend integrierten Ordnungsgefüges stattfinden, das in den versammelten Birkenstämmen die Muster betont und diese zu Elementen einer neuen Bildsprache erklärt. In der zunehmenden Ästhetisierung der Bilder, die ein solcher Ordnungswille bewirkt, wird eine gesuchte und im Werk des Künstlers ständig weiter gesteigerte Künstlichkeit der Bildmittel deutlich, der eine graduelle, aber höchst wirksame, Veränderung der aktuellen menschlichen Lebenswirklichkeit entspricht. Erst spät nämlich erfasst die Wahrnehmung des Betrachters diesen bedrohlichen Aspekt der Verwandlung von Naturlandschaft in die reizvollen Artefakte einer Kulturlandschaft, vor allem mit der Konsequenz einer Abwesenheit des Menschen im Bildraum. Von welcher Natur berichten die Bilder und aus welcher Zeit? Liegt die Zeit der Natur in Anwesenheit des Menschen bereits hinter uns? Wenn Landschaftsbegriffe und Zeitschienen sich überlagern, wenn Statik und Dynamik gleichzeitig auf ein räumliches Objekt wirken, welches zugleich Subjekt des Bildes ist und den Menschen symbolisiert, dann befinden wir uns im Raum des Fiktiven. Tatsächlich hat Thomas Henninger seine Naturberichte fingiert, seine Bilder frei erfunden. Er hat sie mit Hilfe seiner Erinnerung an Naturimpressionen und –Erfahrungen neu ersonnen und am Computer rekonstruiert. Dann allerdings hat er sie in Öl gemalt, Strich für Strich, langsam und leise und ziemlich demütig, Exerzitien nicht unähnlich. In späteren Phasen verblassen die Bilder. Ihre Deutlichkeit und tendenzielle Düsternis verflüchtigt sich zunehmend: von der Natur bleibt nur noch die Struktur, die aufscheint durch den hellen Farbnebel, den der Maler, gleich einem transparenten Schleier des Vergessens, über seine Erinnerungen legt.
Seit 2013 etwa legt Thomas Henninger wieder kleinere Schwarz-weiß-Zeichnungen vor. Nach den großen Landschaftsbildern in Öl – präzise umrissenen alpinen Formationen, eingetaucht in nebulöse Düsternis, eine die tendenziell die Form auflösende Unschärfe – widmete er sich Formen der Natur-Erinnerung, die weniger romantisch inspiriert als vielmehr der Kategorie des Stilllebens nahe erscheinen. Es sind Detailaufnahmen, quasi herangezoomt, bei denen die Wahrnehmung des Malers der Einzelform gilt. Einem Blütenzweig etwa, fotografisch genau erfasst, aber durch eine Wachsschicht auf der gesamten Bildoberfläche wieder in die Ferne gerückt und, als noch so reizvolles Motiv, auch zeitlich fern, zur Erinnerung geronnen, und in seinem eisigen Grau bisweilen sogar eingefroren. In den neueren Bleistiftzeichnungen dagegen rücken die Wachstumsstrukturen, gesehen mit dem Blick eines Naturforschers im 19. Jahrhundert, in den Vordergrund. Details der Pflanzenwelt werden hervorgehoben, aber nicht mehr – wie die einzelne Blüte unter Wachs – im Hinblick auf ihre ornamentale Ästhetik, sondern vielmehr betrachtet als Teilaspekt einer größeren Struktur, die jedem Bild zugrunde liegt. Strukturanalyse bedeutet Reduktion auf die grundlegenden Bildelemente und damit fortschreitende Abstraktion: der Weg von der Anschauung zur Idee. Wie schon in den früheren Bildern rückt Thomas Henninger den Erkenntnismöglichkeiten über Natur und Malerei auf immer wieder anderen Wegen zu Leibe, scheint jedem Ergebnis, als einem vorläufigen, gebührend zu misstrauen, untersucht das Thema mittels vielfältiger malerischer historischer und philosophischer Traditionen. So durchstreift er die Geschichte der Erkenntnisse über die Wirklichkeit in Bildserien zu einzelnen Epochen. Er lichtet die Nebel der Romantiker, versucht die Folien über den Bildflächen der Realisten abzuziehen und stößt allerorten wieder auf Undurchdringlichkeit. Über die historischen, technischen Medien wie die frühe Fotografie gelangt er zur Herstellung und Vervielfältigung stabiler Bilder. Ausschnitte von Pflanzen und Bäumen können so seriell und repetitiv in die Bildflächen gesetzt werden und an die Herkunft abstrahierter Bildformen islamischer Ornament-Bänder erinnern. Mittels der seit langem - zusammen mit der individuellen Malerei - praktizierten digitalen Bildproduktion entstehen fremdartige Geometrien in der Erschließung virtueller Räume durch Koordination von Musterteilen. Verzerrt und gespiegelt oder aufgebrochen, aber symmetrisch organisiert, sind sie Produkte mathematischer Operation: gelöst vom Realen, schwebend und leicht - Bilder im Kopf. Das ist die Idee von Natur. Weiterhin transformiert Thomas Henninger auf vielfältige Weise Technik in Feinmalerei, die wiederum eine Art verbergende Distanz über das Sichtbar-Gemachte legt. So scheint er seine Zweifel an der Darstellbarkeit von Natur- und Strukturräumen mitzumalen, die so wertvollen Zweifel, die sein eigentlicher Antrieb sind.

Georgis Zwach

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