instabil
Es ist der See selbst, welcher zum Produzenten seiner eigenen Darstellung wird. Die Wellenbewegung wird zur Notation - zu einer Notenschrift, welche die Natur selbst aufschreibt. Wie in den graphischen Methoden der Physiologie am Ende des 19. Jahrhunderts wird hier die Linie zum Aufschreibesystem von äußeren Bewegungsabläufen, Impulsen und Kräften. Die so entstehenden Zeichensysteme erinnern an kartographische Luftaufnamen, und obwohl sie direkte Aufzeichnungen eines physikalischen Prozesses sind, entziehen sie sich in Folge mehrfacher Interpolationen der einfachen (direkten) Lesbarkeit und nähern sich in ihrer ästhetischen Erscheinung einer abstrahierten Gedankenwelt.
Die Idealität einer spezifischen Erscheinung von Landschaft wird hier nicht als abstraktes Bild von Natur vom Standpunkt des Strandes aus betrachtet. Vielmehr findet der Prozess der Aufzeichnung in einem Moment der Instabilität und Bewegung direkt auf dem Wasser statt. Es findet ein Transfer statt: vom Flüchtigen ins sichtbar Greifbare der Zeichnung. Die apparative Sichtbarmachung des Ungreifbaren rückt das Verfahren in die Nähe der Photographie.
Natur zeichnet ein Modell von Vergangenheit und Zukunft als Bedingung von Dasein in der Zeitlichkeit. Eingefroren in einer überschaubaren Momenthaftigkeit gibt die Zeichnung eine Ahnung von Zeitenfülle (Kairos) - „von etwas her zu etwas hin“: Die Zeitachse als flüchtiges Moment, welches die beispielhafte Ausschnitthaftigkeit des Daseins thematisiert. Bewußtsein setzt Zeitbewußtsein voraus. Laut Augustinus vollzieht sich das „Messen“ der „Zeiten“ im „Geist“: „Er erwartet, merkt auf und erinnert sich.“ (Aurelius Augustinus: Bekenntnisse, 11. Buch. 21). Besitzt der Mensch diese Fähigkeit nicht, ist er ohne Ichzeit. Er ist nicht bei sich, und was ihn beherrscht, ist Etwas ohne Geist: ein „Es“. Das ist die Sphäre des Grotesken, die Urerfahrung der entfremdeten Welt, „deren Gestaltungsweise auf eine Verkehrung der unsere Tagwelt ordnenden Kategorien gerichtet ist“. (Wolfgang Kayser: Das Groteske in Malerei und Dichtung. Hamburg 1960, S. 142.)
Heutige Zeitvorstellungen werden in erster Linie vom Begriff des „Chronos“ bestimmt. Im Gegensatz zum Chronographen, mit dessen Hilfe die Zeit in messbare Intervalle aufgeteilt wird und somit die Quantität der Zeit beschreibt, beschäftigt sich in der griechischen Mythologie der Zeitbegriff „Kairos“ (καιρός) mit der Qualität der Zeit, was in christlich-abendländischer Tradition Zeitenfülle, auch Wendezeit, in der Existenzphilosophie das Gewahrwerden des günstigen Augenblicks meint. Um den „richtigen“ Zeitpunkt als fruchtbares Moment zu erfassen, gab es in verschiedenen Kulturen unterschiedlichste Methoden, dieser Idee nachzuspüren. So wurden der Vogelflug und der Sternenhimmel betrachtet, mit Knochen gewürfelt usw. um Aussagen über die Qualität der aktuellen Zeit zu finden. Die Arbeit „Wave_Sensor 2.1“ bildet den vermeintlich wissenschaftlichen Versuch ab, die Qualität der Zeit anhand der Bewegungen der Wellen sichtbar zu machen.